Werbung. Nach „Notizen zu einer Hinrichtung“ war ich wohl im Romane-Fieber. Oder im Rezensionsexemplar-Fieber. Jedenfalls habe ich „Service“ noch in meinem Urlaub begonnen, es aber erst gegen Ende des Monats beendet. Ich habe erstaunlich lange für ein Buch gebraucht, von dem ich dachte, dass es spannend werden würde.
Klappentext
Als Hannah von ihrer früheren Kellnerkollegin Mel gebeten wird, als Zeugin in einem Gerichtsverfahren gegen ihren ehemaligen Chef Daniel Costello aufzutreten, lehnt sie zunächst ab. Dem renommierten Sternekoch werden sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Trotz ihrer anfänglichen Weigerung, auszusagen, kann Hannah sich ihrer Vergangenheit nicht entziehen und entscheidet sich um. Währenddessen ist Daniel fassungslos: Sein Restaurant wird geschlossen, die Anwälte sitzen ihm im Nacken, im Internet und vor der Haustür wird er attackiert. Jahrzehntelange harte Arbeit und all die Bemühungen, Anerkennung für sein Talent zu erlangen, sollen umsonst gewesen sein – wegen eines Vorfalls, an den er sich kaum erinnert. Zugleich muss seine Frau Julie, bedrängt von Journalisten und Paparazzi, der Verunsicherung nachgeben und sieht sich gezwungen, ihre Ehe und ihr ganzes Leben infrage zu stellen. All die Jahre, in denen sie versuchte, eine unterstützende Ehefrau und eine gute Mutter zu sein, geraten plötzlich ins Wanken.
Meine Meinung
Dass ich dieses Buch direkt nach „Notizen zu einer Hinrichtung“ gelesen habe, war vielleicht nicht die beste Idee. Denn in der Art, wie die Geschichten erzählt werden, ähneln sich die beiden Bücher. In beiden Büchern wird die Gegenwart und Vergangenheit beleuchtet, in beiden Büchern kommen mehrere Charaktere durch ihre Perspektiven zu Wort. Der einzige Unterschied ist, dass sich „Notizen zu einer Hinrichtung“ wie ein Puzzle zusammenfügt, während „Service“ viel mehr um den heißen Brei herumtänzelt.
Es geht, wie im Klappentext beschrieben, um Hannah und ihre Zeit als Kellnerin in Daniels Restaurant. Daniel steht vor Gericht wegen Vergewaltigung einer anderen Kellnerin, mit der Hannah damals befreundet war. Während all den Rückblenden wird klar, dass auch Hannah etwas schlimmes in diesem Restaurant widerfahren ist. Aber das was bleibt beim Lesen lange geheim. Und genau das hat mich irgendwie gestört. Weil es dem Spannungsbogen nicht zuträglich ist, sondern vielmehr versucht spannend zu sein, aber stattdessen einfach nur langatmig ist. Nach der Hälfte des Buches habe ich mich so sehr auf die Folter gespannt gefühlt, dass ich einfach nur noch genervt war.
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass das Buch deutlich mehr Tiefe hätte vertragen können. Wobei sich das eigentlich hauptsächlich auf die Charaktere bezieht. Denn der Roman ist definitiv character-driven, wird also hauptsächlich durch die Charaktere und ihre Emotionen gesteuert/vorangetrieben. Dafür sind aber eben diese ziemlich eindimensional geblieben.
Im Fokus steht natürlich Daniel, der Chefkoch. Der ehrlich gesagt einfach nur unsympathisch rüberkommt. Er kategorisiert Frauen rein nach ihrem Aussehen. Bewertet eine beispielsweise nach ihren „tollen Titten“ und vergleicht Frauen mit Sätzen wie „die andere hat schönere Beine“. Es ist einfach nur oberflächlich, primitiv, herablassend und ekelhaft. Er sieht sich selbst nicht mal als Ekelpaket, sondern definitiv als Unschuldslamm. Man kann Daniel in diesem Buch nur nicht mögen. Und das finde ich gerade schade. Natürlich ist er der Bösewicht, er ist der Vergewaltiger. Aber der gesamte Inhalt des Buches hätte so viel mehr Tiefe bekommen, wenn er nicht in seinem ganzen Wesen schlecht gewesen wäre, sondern man selbst auch im Zwiespalt ist, wer nun die Wahrheit sagt und wer nicht. Für mich bestand diese Frage aber von Anfang an nicht, weil Daniels alltägliches Verhalten schon zeigt, was für eine Art von Mann er ist.
Bei Hannah, einem von Daniels Vergewaltigungsopfern, sieht es ähnlich aus. Zwar erfahren wir nach und nach mehr über ihre Vergangenheit – wer sie vor Jahren war. Aber wir erfahren kaum etwas über die Jetzt-Hannah. Obwohl das Buch sich um ihre Emotionen dreht, habe ich von diesen ein sehr schlechtes Bild erhalten. Vor allem bei ihr hat mir so viel mehr Tiefe gefehlt. Ich habe nicht mit ihr mitgefühlt, weil ich sie nach Lesen des Buches einfach nicht kannte.
FAZIT
Von „Service“ habe ich mir wohl einfach mehr erhofft. Das Thema sexueller Übergriff ist für jede Frau im Alltag mehr oder weniger präsent. Allein schon deshalb berühren uns Romane darüber viel mehr als andere. Aber dieses Buch hat mich leider überhaupt nicht berührt. Ich habe nicht mit den Charakteren mitgefühlt, weil es einfach so viel tiefer, emotionaler und mitreißender hätte sein können. Ich habe mir vorgestellt, dass dieses Buch von völlig zerrissenen Charakteren handelt. Aber leider waren sie allesamt sehr eindimensional.
„Service“ von Sarah Gilmartin
Einzelband | Literarisch | 320 Seiten
gelesen im Juni 2024 | in 9 Tagen gelesen
★★