Es ist Valentinstag. Aber weil Maren diesen Begriff nicht leiden kann, sagt sie lieber, es ist Donnerstag. Donnerstagabend um genau zu sein. Und anstatt das Singlesein wie jedes Jahr mit einer Packung Ben & Jerry’s vor ihrem Fernseher zu verbringen, steht sie vor einem Restaurant, in dem sie noch nie gegessen hat, in einem Viertel, in dem sie noch nie war.
Viel zu früh für ihre Verabredung steht sie auf der anderen Straßenseite im Nieselregen und behält den Eingang des Lokals im Blick. Bei jeder Person, die sich dem Restaurant nähert, zuckt sie zusammen und beugt sich gleichzeitig näher heran. Sie redet sich ein, dass sie sofort erkennen wird, ob ihre Verabredung etwas taugte, dass sie nicht wieder den Absprung verpassen und in eine einseitige Beziehung rutschen wird. Was Bullshit ist, weil sie Tristan schon einmal gesehen hat und trotzdem noch nicht die Flucht ergriffen hat.
Als Maren den Mann im grünen Trenchcoat um die Ecke biegen sieht, erkennt sie Tristan sofort an seinen großen Schritten, dem eingezogenen Hals und der dicken Hornbrille auf der Nase. Maren sieht ihn und es ist als würde über seinem Kopf ein Ausrufezeichen schweben. Sie weiß sofort, dass es so wie immer laufen wird.
Während Tristan das Restaurant betritt, steht Maren vor einer Entscheidung: Wird sie endlich einmal rechtzeitig den Absprung wagen?
Sie seufzt, weil sie weiß, dass sie nicht anders kann. Ihre Beine setzen sich in Bewegung und als sie die Tür des Lokals öffnet, schlägt ihr eine Wand aus Wärme und Stimmengewirr entgegen. Der Laden, eines dieser hippen Restaurants, die überall aus dem Boden schießen, ist brechend voll.
Tristan sitzt bereits mit dem Rücken zu ihr. Er hat Maren noch nicht gesehen, noch könnte sie abhauen. Aber sie tut es nicht, weil man das halt nicht macht, weil es unhöflich und gemein wäre, weil es ein schlechtes Licht auf sie werfen würde, weil …
In diesem Moment dreht sich Tristan zu ihr um. Als er Maren erblickt, wirkt er für den ersten Moment verwirrt, dann lächelt er und winkt ihr mit einer ausholenden Armbewegung zu. Dass er dabei beinahe einen Kellner umschubst, bemerkt er nicht.
Ich könnte immer noch gehen, denkt Maren peinlich berührt, obwohl sie weiß, dass sie das nicht kann. Sie hat ihn gesehen, er hat sie gesehen. Ihr würde nicht einmal eine plausible Ausrede einfallen.
Also geht sie nicht – natürlich nicht. Sie lächelt Tristan zu und presst ein „Hallo“ heraus, das sogar halbwegs fröhlich klingt. Tristan nickt zögerlich und blickt sie wieder so überrascht an. Hat er gar nicht damit gerechnet, dass Maren auftauchen würde? Wenn sie das doch nur vorher gewusst hätte.
Es hätte auch nichts geändert.
Tristan steht nicht auf. Er hilft ihr nicht aus ihrem Mantel. Er bleibt einfach nur sitzen und beobachtet ihren Kampf mit ihrer Kleidung. Maren kneift die Augenbrauen zusammen und wirft ihm einen vielsagenden Blick zu – Schon mal was vom Begriff „Gentleman“ gehört?! –, der ihm aber offensichtlich gar nichts sagt.
Als sie sich schließlich deutlich schlechter gelaunt setzt, beginnt es: diese beiderseitige Musterung, der eine Moment des Abends, in dem jeder ein Urteil über den anderen fällt. Seinem Gesicht ist nicht abzulesen, was er von Maren hält in ihrem kurzen schwarzen Wickelkleid, das nicht wirklich schick genug für so ein Restaurant ist oder sexy genug für eine ernstgemeinte Verabredung.
Tristans Gesicht bleibt ausdruckslos und eigentlich sollte es ihr egal sein, aber es wurmt sie, dass er bei ihrem Anblick nicht etwas mehr Regung zeigt. Er wirkt nicht länger überrascht, er wirkt einfach gar nichts mehr. Was ihrer Laune einen weiteren Dämpfer verpasst.
Andersherum löst seine Aufmachung auch keine positive Regung in Maren aus. Tristan trägt einen Pollunder, darunter ein wildgemustertes Hemd. Maren glaubt sogar, eines dieser 3D-Bilder darin zu sehen, wenn sie nur lange genug auf einen Punkt starrt. Dazu hat er eine knallgelbe Krawatte umgebunden.
„Ich habe uns schon einen Weißwein bestellt“, sagt er, obwohl er sie immer noch nicht richtig begrüßt hat. „Das ist doch in Ordnung?“
Tristan sieht sie nicht an, ist ganz fixiert auf das Besteck vor ihm, und seine Stimme klingt auch nur im ersten Moment arrogant. Bei genauerem Hinhören bemerkt man das Zittern in ihr. Maren merkt ganz genau, dass er versucht jemand zu sein, der er nicht ist.
Sie versucht, nicht die Augen zu verdrehen. Was hat sie sich dabei nur gedacht?
„Ist schon okay“, antwortet sie stattdessen, obwohl sie lieber Roten trinkt. Weil sie eben auch versucht jemand zu sein, der sie nicht ist.
Maren kann sich kaum noch an den Abend erinnern, an dem sie Tristan kennengelernt hat. Es ist auf einer Party einer Freundin gewesen und es ist mächtig viel Wein geflossen – Rotwein. Maren hatte sich mit Tristan unterhalten, aber sie hatte sich an dem Abend mit so vielen unterhalten. Weil man sich auf einer Party eben gesellig gibt. Sie kann sich an kein einziges dieser Gespräche erinnern.
Als ihre Freundin eine Woche später angerufen hat, um zu verkünden, dass Tristan gerne mit ihr ausgehen würde, hat Maren zwar nicht mehr gewusst, worüber sie sich unterhalten haben, aber sie wusste immerhin noch, wer er war: dieser bunte Kanarienvogel.
„Ist der nicht ein bisschen schrill?“, hat Maren ihre Freundin gefragt.
„Nur äußerlich. Du weißt ja, es kommt auf die inneren Werte an.“
Also hat Maren zugesagt, weil es auf die inneren Werte ankommt, weil sie nicht als oberflächlich betitelt werden wollte. Sie hat zugesagt, obwohl sie ihre Zukunft genau vor Augen gehabt hat:
Sie wird sich mit Tristan treffen und er wird ganz anders sein als der vom Alkohol aufgelockerte Tristan auf der Party. Er wird nach einem weiteren Date fragen und sie wird nicht nein sagen. Sie wird sich mitreißen lassen, von Gefühlen, die gar nicht da wären und vermutlich auch nie da sein werden. Sie werden sich mehrmals treffen, bis Maren ihn nach dem vierten oder fünften Date mit Nachhause nehmen wird, in der Hoffnung, dass an diesem „stille Wasser sind tief“-Ding was dran ist.
Sie werden miteinander schlafen, er wird nach weiteren Dates fragen und sie wird nicht nein sagen. Er wird öfter zu ihr kommen und plötzlich wären sie ein Paar. Sie werden gemeinsam Freunde besuchen, Pärchenabende veranstalten und ihre Eltern kennen lernen. Sie werden über die Zukunft reden, seinen Jobwechsel angehen und eine Familie planen. Er wird alles in die Beziehung legen, während sie immer etwas von sich zurückhalten wird. Sie werden Maren und Tristan sein, aber ohne Maren.
Aber Maren wird sich mitreißen lassen, weil sie nun einmal den Absprung am Valentinstag verpasst hat, und nach einer Weile – vielleicht nach Monaten oder erst nach Jahren – wird sie einen anderen Mann kennen lernen. Möglicherweise einen Kollegen oder einen völlig Fremden. Sie wird sich auch bei ihm mitreißen lassen, auch bei ihm den Absprung verpassen, auch bei ihm nicht nein sagen. Und dann wären es nicht mehr Tristan und Maren ohne Maren, sondern nur noch Tristan.
So sitzt Maren am Valentinstag, am Donnerstagabend, nach dem verpassten Absprung, in diesem hippen Restaurant vor Tristan und sieht nicht ihn, sondern ihre Zukunft. Sie sieht Maren und Tristan. Tristan ohne Maren.
Und dann sieht sie Maren.
Maren ohne Tristan.
Maren ohne den Kollegen oder den völlig Fremden.
Nur Maren.
Wow, ich habe es wirklich getan! Ich habe zum allerersten Mal etwas von mir geschriebenes veröffentlicht und ich kann es noch gar nicht fassen. Ich hoffe so, so sehr, dass die Reaktionen positiv ausfallen werden.
Der Writing Friday ist eine Aktion von read books and fall in love, zu der monatlich Themen, auch Schreibaufgaben, vorgegeben werden, zu denen man jeden Freitag einen selbst geschriebenen Text veröffentlichen kann. Bei ihren Beiträgen mit den Schreibaufgaben sind auch alle Teilnehmer verlinkt, da kannst du also ruhig mal ein bisschen stöbern. Die von mir gewählte Aufgabe lautete: Maren verabredet sich an Valentinstag mit einem Unbekannten, erzähle von diesem Date. (Was das mit dem Unbekannten betrifft, habe ich ein bisschen geschummelt.) |
Diese Aktion ist mir schon vor einer ganzen Weile aufgefallen, aber ich konnte mich nie richtig dazu aufraffen, daran teilzunehmen. Durch das #litnetzwerk habe ich sie dann wieder entdeckt und hatte sofort eine Idee für die Valentinsaufgabe des Februars, woran vermutlich auch die inspirierenden Kurzgeschichten aus „Cat Person“ Schuld sind. Jetzt fragst du dich aber mit Sicherheit, warum ich jetzt, eine Woche später, mit einer Kurzgeschichte zum Valentinstag um die Ecke komme. Ich habe zwei Tage vorher mit dieser Kurzgeschichte angefangen und dann … tja, wer hätte auch erwarten können, dass man nach monatelanger Schreibpause ein bisschen braucht, um wieder in Fahrt zu kommen? Und wer hätte gedacht, dass man so viel Zweifel, Angst und Perfektionismus verspürt, wenn man zum allerersten Mal etwas selbst geschriebenes veröffentlicht – die eher schlechten Fanfictions von vor 10 Jahren mal beiseite gelassen. Obwohl mir hätte klar sein müssen, dass ich das nicht in zwei Tagen gewuppt kriege, hat es mich doch überrascht.
Ich freue mich jedenfalls (auch wenn ich ein bisschen Schiss habe), dir meine erste Kurzgeschichte präsentieren und damit endlich die Rubrik „Schreiben“ auf Kateastrophy, die seit gefühlten Ewigkeiten geplant ist, einweihen zu können.
Hey Kate,
wirklich schade, dass du nicht schon früher was veröffentlicht hast. Der Text gefällt mir wirklich gut.
Mehr davon. 😉
Grüße, Katharina
Hallöchen,
oh vielen Dank! Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich über deinen Kommentar freue!
Liebste Grüße ♥
Liebe Kate, es freut mich so so sehr, dass du mitgemacht hast 😀 ich finde deine Geschichte wunderbar und mag deinen Schreibstil sehr. Ich möchte auf jeden Fall mehr von dir lesen! Am Dienstag gibt es die Schreibthemen für den März und ich hoffe sehr, dass sie dich ansprechen und du weiter Geschichten online stellst 😀
Hallöchen liebe Elizzy,
bei all den Komplimenten freut es mich auch, dass ich mich getraut habe mitzumachen. Danke! ♥
Ah Dienstag, wunderbar. Ist direkt vorgemerkt und ich bin gespannt auf die Themen. Man könnte sagen, ich habe Blut geleckt 😀
Das ist das erste Mal, dass ich etwas von dir lese, obwohl wir schon so lange übers Schreiben sprechen 😀
Es ist eine wunderbar offene Geschichte, die Marens Kopf stilistisch schön spiegelt. Jetzt möchte ich wissen, ob deine Romane genauso klingen wie deine Kurzgeschichten :3
Spoilerwarnung: Tun sie nicht 😀 Aber ich schreibe normalerweise ja auch Jugendbuch, das ist dann ja auch etwas anderes.
Es freut mich aber sehr, dass dir die Kurzgeschichte gefällt 🙂
Ich finde das sehr cool, wie du dieses Spannungsfeld darstellst zwischen den Gefühlen und den Erwartungen, wie eine Frau sich zu verhalten hat, und die Maren so sehr verinnerlicht hat. Während sich die Männer wie die Axt im Walde aufführen können. Und ich finde es fast unerträglich, dass du am Ende der Leserin nicht die Befriedigung gibst, zu zeigen, dass sie aufsteht und geht 😆 das macht es gleichzeitig genial
Vielen Dank nochmal! ♥ Dieses Kompliment, gerade von dir, bedeutet mir sehr viel 🙂 Gerade weil es das erste Mal ist, dass ich etwas geschriebenes öffentlich zeige.